Medientraining
Authentisch oder überzeugend?
Soll man in den Medien nun authentisch sein oder glaubwürdig oder beides und geht das überhaupt oder ist es dasselbe? Die Antwort wird schon bei der Klärung der Begriffe interessant.
Glaubwürdigkeit ist das Ergebnis einer Entscheidung des Empfängers darüber, ob jemand halten wird, was er verspricht. Es ist das Ergebnis einer sehr subjektiven Bauchentscheidung einer einzelnen Person, egal wie viel Rationalität man sich dabei einredet. Auch wenn man umgangssprachlich sagt ‚Der ist glaubwürdig‘ meint das tatsächlich ‚Ich glaube ihm‘. Auch wenn die Verwendung eines Substantivs uns das suggerieren möchte, ist Glaubwürdigkeit meist keine objektive Eigenschaft des Senders, also einer Person oder eines Unternehmens, sondern eine Vermutung. Die kann sich natürlich im Laufe der Zeit durch die überprüfbare Faktenlage als Richtig herausstellen. Dazu müssen wir den Menschen länger kennen und seine Worte und Taten verlässlich überprüfen können.
Kennen wir den Sprecher ihn nicht und hat er beispielsweise in einer Krisensituation Wichtiges zu verkünden, dann bleibt es zunächst bei unserer Vermutung. [Wie wir zu dieser Vermutung kommen – dazu mehr bei Albert Mehrabian.] Ach wenn sehr viele Menschen einer bestimmten Person ihren Glauben schenken, wird es dadurch nicht automatisch wahr. Die großen und kleinen Hochstapler der Geschichte waren und sind alle begnadete Trickser und Schauspieler, die ihr Publikum glauben machen können, sie sprächen die reine Wahrheit, nichts als die Wahrheit. Man glaubt ihnen, vielleicht auch, weil man es glauben will. Um jemand für würdig zu halten, dass man ihm glaubt – und nichts anderes bedeutet das Wort – muss man nichts wissen, zu glauben reicht. Ein Beispiel für diese Manipulationstechniken? Schauen Sie sich das verfilmte Lebens des Scheckfälschers und Hochstaplers Frank W. Abagnale an, den Leonardo DiCaprio in ‚Catch me, if you can!‘ sehr überzeugend dargestellt hat.
Authentizität ist dagegen eine Eigenschaft. Sie ist das Ergebnis einer Qualitätsprüfung, die besagt: ‚Da ist nur drin, was draufsteht!‘ In unserem Fall ist es die Eigenschaft, dass sich jemand so darstellt, wie er wirklich ist. Das lässt sich bei Nutella oder Wein mit den handelsüblichen Messgeräten und Prüfverfahren ganz gut abbilden. Aber bei Gefühlen und Werten? Wer kann schon in die Seele eines Menschen blicken? Wir können nur wieder glauben und hoffen, dass alles so ist, wie es aussieht. Und wenn ich jemandem die Emotionen in einer schwierigen Situation abnehme, dann nehme ich ihm wahrscheinlich auch seine Entscheidung ab.
Damit wird Authentizität zu einem interessanten Entscheidungskriterium für Glaubwürdigkeit. [In der Mathematik nennt man das eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung.] Authentizität ist – als notwendige Bedingung – auf jeden Fall ein K.O.-Kriterium für Glaubwürdigkeit. Wenn ich jemanden als nicht authentisch erlebe, ist er für mich auch nicht glaubwürdig. ‚Der zieht nur eine Show ab‘ bei zu viel Emotionalität oder ‚Herzloser Technokrat‘ bei zu wenig davon. Authentizität ist – als nicht hinreichende Bedingung – aber zu wenig für Glaubwürdigkeit. Da will man in einer Krise auch sehen und hören und glauben können, dass der Krisenmanager weiß, wie man Fehler analysiert und ihre Wiederholung verhindert. Das will man in der Wortwahl [keine Konjunktive, kein ‚eigentlich‘ und ‚im Prinzip‘], in der Stimme [klar, fest, deutlich] und der Körperhaltung [Blickkontakt, aufrechte Haltung] erkennen können, dass Widerstände ihn nicht kleinkriegen werden und er zu seiner Verantwortung steht.
Authentisch wäre ein Feuerwehrmann vielleicht, wenn er bei einem Flugzeugabsturz emotional sehr bewegt über die vielen Toten und Schwerverletzten spricht. Als Zuschauer oder Vorgesetzter würde man sich allerdings Sorgen machen, ob er seinen Job noch ordentlich erledigen kann und wie sehr er seine Kollegen dadurch gefährdet. Authentisch wäre ein Feuerwehrmann möglicherweise auch, wenn er sehr nüchtern erklärt, sich um die Einzelschicksale keine Gedanken machen zu können, weil er dann nicht konzentriert arbeiten könnte und auch die Sicherheit seiner Kollegen gefährden würde. „Das sehe ich ja jeden Tag, da muss man sich dran gewöhnen‘. Aber glaubt man ihm auch, dass er sich wirklich für die Opfer einsetzt?
Also wie jetzt? Gefühle ja oder nein? Dafür ist eine letzte Differenzierung nötig:
- Authentisch kann ich als Mensch sein, mit all meinen Gefühlen und Gedanken.
- Glaubwürdig muss ich mit meiner Darstellung vergangener Ereignisse sein oder mit meinem Versprechen, eine Aufgabe auf eine bestimmte Art zu lösen.
Das beides unter einen Hut zu bringen, erfordert manchmal, auch über seine Gefühle zu sprechen, um sowohl die zwei Herzen in der Brust transparent zu machen als auch die Art, damit umzugehen.
Das Geheimnis liegt darin, nicht authentisch aus seinen Gefühlen heraus zu agieren, emotional zu sprechen, sondern authentisch über seine Gefühle zu sprechen und zu beschreiben, wie man damit umgeht. Das kann glaubwürdig werden. Alles andere wird schwierig.
Bei der Bundespräsidentenwahl im Juni 2010 verlor Joachim Gauck in einem für manchen nicht sehr würdevollen Wahlmarathon gegen den Wunschkandidaten der Bundeskanzlerin. Sehr bald konnte er verfolgen, wie der Stern des Bundespräsidenten zu sinken begann und wie die Medien mit dem ‚Fall Wulff‘ umgingen. Plötzlich bekommt er einen Anruf, der ihn direkt aus dem Flieger in das Bundeskanzleramt bittet. Die Bundeskanzlerin gibt ihm gefühlte 10 Sekunden Bedenkzeit, ob er diesmal der Neue werden möchte. Welche politisch unkorrekten Gedanken gingen einem Normalsterblichen in der Situation wohl durch den Kopf? ‚Das hätte sie auch einfacher haben können, jetzt soll ich die Karre aus dem Dreck ziehen, als zweite Wahl bin ich wohl gut genug, die lass ich jetzt erstmal zappeln, angekrochen soll sie kommen, so einen Scheiß tue ich mir nicht an, ich bin doch nicht blöd und lass mich wie der Wulff durch die Medien-Mangel drehen …‘ Aber sein Staatsvolk, das ihn schon vor zwei Jahren gerne zum Bundespräsidenten gemacht hätte, will sehen, ob er die Größe hat, alles Vorangegangene zu vergessen und jetzt nicht kleinlich nachtritt, sondern über den Dingen steht.
Und was sagte Joachim Gauck bei seiner Vorstellung als Bundespräsidentenkandidat am 19. Februar 2012? Er sprach authentisch als Mensch über seine Irritation und glaubwürdig als zukünftiger Staatsmann über seine Gründe, die Aufgabe trotzdem anzunehmen. Schauen Sie es sich an.