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Albert Mehrabian: 7 - 38 - 55
Albert Mehrabian beschäftigte sich mit der Frage, wann wir Menschen glauben und wann nicht. Heraus kam 7-38-55, die drei magischen Zahlen der Kommunikation.
Kommunikation besteht nur zu 7 Prozent aus Worten, zu 38 Prozent aus der Stimme und zu 55 Prozent aus Körpersprache. Dieser Dreisatz klingt für viele Menschen ebenso spannend wie unwahrscheinlich und ist wohl eine der am meisten fehlinterpretierenden Zusammenfassungen einer sozialwissenschaftlichen Studie. Bringen wir Licht in das Dunkel.
Im vierten Axiom von Paul Watzlawick ging es um die emotionale, aber interpretierbare analoge Kommunikation und um die emotionsfreie, aber sehr eindeutige digitale Kommunikation. Offen ist die Frage, wie dieser Mix gestaltet sein muss, damit man auch glaubt, was Sie sagen. Wir können es auch anders herum formulieren: Welche Fehler dürfen Sie nicht begehen, wenn Sie glaubwürdig bleiben wollen?
Den amerikanischen Psychologen und Kommunikationsforscher Albert Mehrabian beschäftigte Ende der 60er Jahre die Frage, was passiert, wenn verbale und nonverbale Kommunikation nicht zusammenpassen. Er überprüfte diesen Zusammenhang in zwei simplen, aufeinander aufbauenden Experimenten.
In Stufe I wurden Wörter, die klare Gefühle auslösen [positiv: honey, thanks, dear…; neutral: maybe, really, what…; negativ: don’t, terrible, no…], mit positiver, neutraler und negativer emotionaler Färbung auf Band gesprochen, und zwar in allen möglichen gegensätzlichen Kombinationen. Die Testpersonen sollten den emotionalen Gesamteindruck der Kombination beurteilen. Dabei wurde festgestellt, dass sich die emotionale Färbung der Stimme etwa 5,5-mal so stark durchsetzen konnte wie emotionale Ausrichtung der Wörter. In Stufe II untersuchte er die Wirkung emotional gegensätzlicher Tonfälle und Gesichtsausdrücke. Dabei ergab sich eine etwa 1,5-mal stärkere Durchsetzungskraft des Gesichtsausdrucks gegenüber dem Tonfall.
Die Werte aus diesen beiden Tests ergaben kombiniert dann die berühmte Formel, die auch auf Mehrabians Website zu finden ist:
total liking = 7% verbal liking + 38% vocal liking + 55% facial liking
Total liking können wir auch mit Sympathie übersetzen.
Nur 7 Prozent der gesamten Kommunikation sei verbal und 93 Prozent nonverbal, das ist definitiv eine falsche Interpretation von Mehrabians Untersuchungsergebnis. Ob wir jedoch einem Redner glauben oder nicht, das wird nur zum geringsten Teil durch den Text beeinflusst. Unsere Eindrücke aus dem nonverbalen Bereich haben da ein extrem hohes Mitspracherecht, das bei diesem Zahlenverhältnis einem Vetorecht gleichkommt.
Aber wie funktioniert die unbewusste Analyse der nonverbalen Signale? Die Erklärung können spezielle Nervenzellen liefern, die Spiegelneuronen. Die Spiegelneuronen werden aktiviert, wenn wir beispielsweise Mimik oder Gestik anderer beobachten. Dabei werden, sehr knapp formuliert, Emotionen produziert, als führten wir diese Mimik oder Gestik selbst aus. Es reicht sogar, nur an bestimmte Situationen zu denken oder die Stimme einer Person zu hören, und die dazugehörigen Emotionen sind in Millisekunden wieder präsent. Ein distanzierter Gesichtsausdruck, eine abwertende Geste oder ein ausweichender Blick eines Redners lösen in uns entsprechende Gefühle aus und lassen uns einen Widerspruch zu den motivierend gemeinten Worten spüren. Natürlich läuft das alles unterhalb der Ebene bewusster Wahrnehmung ab, zudem bei dem einen sensibler und differenzierter, bei dem anderen grobschlächtiger. Beobachtungsprofis können das allerdings bewusst analysieren und die Erkenntnisse zielgerichtet einsetzen.
Mit anderen Worten: Wir bekommen auf einem unbewussten Kommunikationskanal mit, was der Andere von uns will. Das war im Verlaufe unserer Evolution offenbar einmal überlebenswichtig. Heute können wir diese Information mit dem vergleichen, was er mit seinen Worten vorgibt zu wollen. Unstimmigkeiten lassen uns aufhorchen.
Die wichtigsten Ableitungen aus dieser Erkenntnis sind aber die folgenden:
- Die verbale Behauptung einer Person einerseits und der akustische und körpersprachliche Kommentar ihres Körpers andererseits haben sehr verschieden starken Einfluss auf unsere Einstellung zu dieser Person.
- Wenn die verbale und die nonverbale Aussage nicht zueinander passen, wenn jemand widersprüchliche Nachrichten sendet, glauben wir den non- und paraverbalen Botschaften von Körper und Stimme weit eher als der verbalen Aussage des Kopfes.
Wir schenken dem Inhalt einer Mitteilung so lange Glauben, wie die Stimme und der Körper uns dasselbe erzählen. In dem Maße aber, wie Stimme und Körper uns etwas anderes, etwas vom Text abweichendes vermitteln, glauben wir eher der Botschaft des Körpers und befinden den Sprecher für unglaubwürdig, also für nicht des Glaubens würdig.
Die Botschaft des Körpers kann die wahren Intentionen eines Sprechers entlarven. Es geht aber auch anders herum: Sie kann die negative Wirkung mildern.
Durch positive Körpersprache und eine angenehme Stimme kann eine geübte Person schlechte Nachrichten so rüberbringen, dass sich der Andere zunächst gar nicht so schlecht dabei fühlt.
Wenn der aber merkt, dass dahinter kein ehrliches Bemühen stand sondern nur ein Täuschungsmanöver, wird er möglicherweise umso wütender.
Die kritische Kontrollinstanz kann also eingeschläfert werden, zumindest für eine gewisse Zeit. Beim Aufwachen schlägt die Stimmung umso radikaler um, je länger es gedauert hat. Ob jemand seine rhetorischen Kompetenzen dabei bewusst oder unbewusst einsetzt, ist für die Wirkung unwichtig und in der Regel auch kaum überprüfbar. Die andere Seite unterstellt in beiden Fällen eher schlimmste Absichten.
Insbesondere Personen, die hauptsächlich mit Zahlen, Daten und Fakten arbeiten, betrachten Mehrabians drei Zahlen oft sehr skeptisch. Das hält meistens bis zum ersten Video-Feedback. Wer schon immer mehr auf sein Bauchgefühl vertraut hat, fühlt sich dagegen durch das Untersuchungsergebnis bestätigt.
Weiter differenzierende Ableitungen, die auch uns sehr interessieren würden, macht Albert Mehrabian explizit nicht. Er lehnt sie ab, weil das Untersuchungsdesign das nicht hergibt. Offene Fragen sind: Verhalten sich Frauen und Männer unterschiedlich? Gibt es einen Unterschied bei verschiedenen Nationalitäten? Hängt die Wahrnehmung auch vom Thema ab?
Vielleicht gibt es diese Unterschiede, vielleicht auch nicht. Und ehrlich gesagt – wozu brauchen Sie die Antwort, falls Sie keine Ambitionen als Kommunikationswissenschaftler haben? Doch nicht etwa, um zu wissen, wo Sie eher lügen können oder sich nicht so gründlich vorbereiten müssen? Man weiß nie, wer unter den Zuhörern sitzt. Und ob der Kopf nun 7 oder 11 oder 15 Prozent bekommt, bleibt es dabei: Das Vetorecht wird immer beim Bauch bleiben.
Unsere Erfahrungen aus 20 Jahren Kommunikations- und Medientraining zeigen immer wieder einen weiteren interessanten Effekt: Die Kritik an der Gültigkeit der Aussage entsteht meistens im Zusammenhang mit der Besprechung eigener Leistungen oder bei der Beurteilung von Fachvorträgen von Kollegen. In dem Moment, in dem es um die Bewertung fremder Kommunikationsleistungen geht, insbesondere die von Politikern und Managern in kritischen Situationen im TV, bestehen kaum noch Einwände. Dazu einige Beispiele:
- Ja, dieses Finanzprodukt hält wirklich, was es verspricht!
- Nein, es besteht trotz des Brandes keine Gefahr für die Anwohner.
- Ja, die Polizei tut alles Notwendige, um den Täter zu fassen. Nein, so etwas wird sich nicht wiederholen.
- Ja, ich übernehme die persönliche Verantwortung und werde für rückhaltlose Aufklärung sorgen.
- So wahr ich hier stehe, die Renten sind sicher!“
Diese Sätze haben Sie schon zu oft gehört, als dass Sie dem Wort noch blind vertrauen.
Glaubwürdig werden Worte nur dann, wenn die Botschaft des Körpers damit übereinstimmt. Das beruht wohl auf der praktischen Erfahrung jedes Einzelnen, dass man mit Stimme und Körper viel schwerer lügen kann als mit Worten. Das können nur Schauspieler. Schauspielerei wäre allerdings auch keine Lösung, denn Schauspieler schlüpfen ganz bewusst für eine bestimmte Zeit in eine künstliche Rolle und müssen im Alltag nicht mit den Konsequenzen dieser Rolle leben. Und das stimmt auch dort nur mit Ausnahmen. So mancher überzeugende Vorabendserien Serien-Filmarzt wurde als Schauspieler schon mal um eine Diagnose gebeten. Hohe Identifikation wirkt sehr nachhaltig.
Die drei Zahlen von Mehrabian geben uns insbesondere an, wie schnell das Vertrauen verspielt werden kann, wie schnell dem kopfgesteuerten Wort misstraut und wie stark den Emotionen vertraut wird, also dem Bauch.
Das bedeutet für Ihren nächsten Auftritt, dass die verbale Kommunikation, der Text, an dem Sie womöglich bis zur Perfektion gefeilt haben, nur knapp zehn Prozent der Glaubwürdigkeit Ihres Vortrags ausmachen wird. Den eigentlichen Eindruck werden Sie über Ihre Stimme, Ihre Sprache und über die Sprache Ihres Körpers erzeugen – und darauf haben Sie bei der Vorbereitung bislang kaum einen Gedanken verwendet, oder? Manche von Ihnen haben vermutlich nicht einmal eine Idee, wie Sie in diesen Bereichen auch nur annähernd so virtuos sein könnten, wie bei der Perfektionierung des Redemanuskripts.
Dafür brauchen Sie noch den wichtigsten Aspekt einer Nachricht: die Botschaft – und Training.